Zwei Szenarien. In beiden Fällen sitzt der Chefredakteur beim Fachanwalt für Presserecht. Die Reportage ist veröffentlicht. Die Firma, über die berichtet wurde, verlangt eine Gegendarstellung. Doch der Reporter kann nachweisen, dass er sauber recherchiert hat. Zu einer Gegendarstellung kommt es deshalb nicht. Was lernt der Chefredakteur daraus? Infos bunkern! Alle Ergebnisse einer Recherche werden als Kopie im Aktenschrank versenkt. Recherche-Archiv nennt er das.
Szenario zwei. Die Firma vermutet einen Informanten im eigenen Büro und verlangt von der Redaktion die Herausgabe des Namens. Pustekuchen, denkt sich der Chefredakteur, ich habe zwar eine eidesstattliche Versicherung des Maulwurfs, aber zum Glück gibt es ja den Informantenschutz. Ebenfalls Pustekuchen. Ein US-amerikanisches Bundesgericht hat zwei Reportern von Time und New York Times eine 18-monatige Gefängnisstrafe angedroht, wenn sie nicht ihren Informanten preisgeben, der eine CIA-Agentin enttarnt hat.
Die Bundesrichter urteilten Mitte Februar in zweiter Instanz, dass in laufenden Kriminalfällen kein Recht auf Informantenschutz bestehe. Das Gericht stützt sich dabei auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1972, wonach der in der Verfassung verbriefte Schutz von journalistischen Quellen bei Ermittlungen in Kriminalfällen nicht gilt, wenn diese für die Aufklärung wichtig sind. Die Enttarnung von Geheimdienstagenten ist in den USA eine Straftat.
Quelle: newsroom.de
Und was macht der Time-Chefredakteur? Anscheinend gegen den Willen seines Reporters gibt er dem Gericht die geforderten Unterlagen. Zum Glück hat er ja sein Recherche-Archiv. Apropos Archiv, dorthin kann der betroffene Reporter sich nun versetzen lassen, denn neue Informanten wird er in diesem Leben nicht mehr finden.
Die Frage steht nun im Raum: Muss der Chefredakteur alles wissen? Was hat die Telefonnummer des Informanten im Adressbuch des Chefreds zu suchen? Kann er einem Reporter vertrauen, dass dieser die eidesstattliche Versicherung auch wirklich hat? Ich meine ja. Wenn ein grundsätzliches Vertrauen besteht. Auch wenn jetzt vielen die Haare zu Berge stehen werden, die an den Fall Tom Kummer denken.