Es gibt zwei grundlegende Bedürfnisse des morgentlichen U-Bahn-Fahrers auf dem Weg zur Arbeit. Erstens nicht in den faltig-schrumpeligen Ausschnitt der Banknachbarin schauen zu müssen. Und zweitens für das Stück Papier, das er sich schützend vor Auge und Nase hält, nichts zu bezahlen. Geboren ist die Gratiszeitung, die immer mal wieder in einigen deutschen Großstädten verteilt wird. Auch die Bildzeitung bereitet gerade ein solches mentales Klopapier vor. Schreibt die Financial Times Deutschland.

Aber nein, die Gratiszeitung ist ja nicht zum Wohl des Lesers erfunden worden. Der Grund liegt in der journalistischen finanziellen Krise der Zeitungsindustrie. Weil die Zeitungen nicht genügend Leser haben, wird nicht genug eingenommen. Mehr Leser bekommt man aber, indem die Zeitung billiger wird, bestenfalls gratis. Das steigert zwar Auflage und Marktanteil, nicht aber den Gewinn. Deshalb werden Gratiszeitungen dann doch irgendwann wieder eingestellt.

Große Verlage, die in Deutschland Fuß fassen wollten, haben sich daran versucht (Schibsted aus Norwegen), aber auch Lokalmatadore auf Revierverteidigung (DuMont, Köln). Nun entwickelt für den Springer-Verlag auch die Bildzeitung ein solches Papier. Für die Schublade. Denn man wolle nicht als erster damit herauskommen, sondern nur reagieren können.

Auch, die Bild. Was passiert denn nun, wenn der Bildleser sich in Zukunft die Gratiszeitung schnappt? Dann bleiben die paar Pfennige, die die Bildzeitung kostet, aus. Immerhin finanzieren die einen großen Apparat in Hamburg, Berlin und anderswo. Im schlimmsten Fall könnte an Recherche und journalistischer Sorgfalt gespart werden. Nicht auszudenken.

Im besten Fall merkt der Bildleser den Unterschied gar nicht und hält die neue Gratiszeitung für die Bild. In der Aufmachung dürften sich beide Blätter wohl ähnlich sein. Häppchentexte, wohl proportioniert eingestreut zwischen einigen Bildern. (Oder waren das wohl proportionierte Bilder?) Ob sich der Springerverlag damit einen Gefallen tut? Ich glaube es nicht. Dem U-Bahn-Fahrer wird es egal sein. Hauptsache er hat Seite drei vor Augen und nicht die faltigen Dinger der Banknachbarin.