Als ich noch klein war, musste ich nach meinem Geburtstag immer Briefe an die Verwandtschaft schreiben. Um mich brav für die Geschenke zu bedanken. Wir hatten kein Telefon. Das war zwar lästig, ich musste mir aber keine dummen Fragen anhören, ob ich schon wieder gewachsen sei. Was soll man als Kind eigentlich sonst tun? Dann bekamen wir endlich ein eigenes Telefon. Das lästige Kartenkritzeln hörte glücklicherweise auf, stattdessen musste man Mami oder Papi dazu bringen, neben dem Apparat zu warten, um den Hörer ja schnell wieder abzugeben.

Heute gibt es Anrufbeantworter, Handys, E-Mail und ICQ. Man kann sich schriftlich oder mündlich mitteilen, gleichzeitig oder zeitversetzt. Je nach Gusto. Doch das trifft nur auf die persönliche Kommunikation mit dem Gegenüber zu. Wie verhält es sich denn mit den Broadcast-Medien? Was ist mit dem Radio? Die Zeiten, in denen die ganze Familie vor dem einen Radiogerät in der Küche hockte, habe ich nie kennengelernt. Mein Kinderzimmer war mit einem eigenen Apparat ausgestattet. Da lief dann Mal Sandocks Hitparade, ansonsten dudelte das Radio nur im Hintergrund. Das ist heute nicht anders.

Meine ungeteilte Aufmerksamkeit habe ich stattdessen den Kassetten gewidmet, die mir ‚gute Freundinnen‘ aufgenommen hatten. Die Kassettenmädchen. Sie haben ihre Lieblingslieder mit viel Liebe (oder was sie dafür hielten) zusammengestellt, ein eigenes Cover unter Zuhilfename diverser Buntstifte gebastelt (fast perfekt war es mit Jaxonkreide) und beim romantischen Treffen auf der Wiese hinter der Schnellstraße feierlich überreicht. Bei Räucherstäbchen und Kerzenschein wurden diese dann zuhause ins Kassettendeck geschoben. Dazu, frisch vom Stöfchen, ein lauwarmer Yogitee.

Diese Zeiten sind gottseidank vorbei. Heute wird der iPod mit Musik aus dem 24-Stunden-Abo der Firma Filesharing betankt. An Nachschub mangelt es nicht. Vor allem muss nicht mehr auf dem Schulhof getauscht werden. Ob die Holden heutzutage ihre Liebesschwüre per MP3 im E-Mail-Anhang verschicken, weiß ich glücklicherweise nicht. Die Technik jedenfalls würde es möglich machen. Stattdessen wird dort, vor dem Rechner, der eigene Podcast produziert. So wie wir damals davon geträumt haben, das Leben des Brian vom Monty Python nachzuspielen. Nur dass wir keine Kamera hatten. Noch so ein Glück, für das man heute dankbar sein muss.

Podcasting. Laut Handelsblatt liegt die Zukunft des Radios im Internet. Spiegel Online hypt vor ein paar Tagen Podcasting noch als Nachfolger der Weblogs. Und Vblogs, also Video-Weblogs, gleich dazu. Nur dass mir die Links abhanden gekommen sind, als ob da nachträglich noch was geändert worden wäre. Seltsam. Heute jedenfalls ist Podcasting nur noch „ambitionierter Bürgerfunk mit digitalen Mitteln“. So schnell kann sich der Wind beim Spiegel drehen.

Dass Podcasting nicht nur eine neue Kunstform für pubertierende Jungs und mit dem Leben unzufriedene Silver Surfer ist, hat das Deutschlandradio als einer der ersten Radiosender entdeckt. Täglich gibt es nun eine halbstündige Zusammenfassung mit Interviews vom Tage. Vorerst noch im Testbetrieb. Bereits jetzt ist die Website eine brauchbare Ausweitung des Radioprogramms. Beim Deutschlandradio findet man dort einen Livestream und Audio on Demand. Auf diese Weise kann man das Programm auch in Tokyo hören, also überall statt nur in Deutschland. Und einzelne Beiträge auch zeitversetzt. Workaholics und Frühzubettgeher werden es danken. Früher nahm man in Bremen noch Kassetten auf und schickte diese Monat für Monat mit der Post nach Bonn.

Podcasting ist also weniger eine neue Kunstform als ein neuer Vertriebsweg für Radiosender. Dort gibt es allerdings auch die besseren Wortbeiträge. netbib geht sogar noch ein Stück weiter und möchte Fernsehserien per BitTorrent vertreiben. Ein guter Vorschlag, dann bräuchte man sich auch keinen teuren Festplattenrekorder anzuschaffen. Die können nämlich heute schon die Desperate Housewives aufnehmen, wenn man gerade beim Sport ist oder mit den Kumpels ein Bierchen kippt.

BitTorrent hätte aber noch einen weiteren Vorteil: Die Kosten für die Versendung des Programms sinken, jedenfalls für den Radio- oder Fernsehsender. Ein Podcast ist nämlich nichts anderes als ein automatisierter Download einer ganzen Kette von zusammengehörenden MP3-Dateien. Wie Audio on Demand, nur dass man nicht jedes Mal auf die Website muss und bei neuen Beiträge sofort benachrichtigt wird. Aber mit dem Radio im Filesharing-Abo werden sich die Sender wohl auf lange Sicht nicht anfreunden können.

Auch Radio-Podcasting wird die Ausnahme bleiben. Nicht ohne Grund sind es die reichen, öffentlich-rechtlichen Sender, die sich dieses Experiment leisten können. Kommerzielle Sender müssen dafür sorgen, dass die Werbung in den Podcasts gut platziert ist oder dass diese gesponsort werden. Aber nur mit einem eigenen Bezahlsystem sind professionelle Podcasts auch ohne Radiosender im Hintergrund möglich. Auf diese Weise könnten Hörbücher auch als Mehrteiler veröffentlicht werden.

Das Radio-Wunderland werden auch die Podcasts nicht bringen, vielleicht aber die eine oder andere Lieblinssendung – erst auf meinen Rechner und dann auch meinen MP3-Player. Vor allem werde ich meine Lieblingssendungen nicht mehr verpassen. Vorausgesetzt der Sender erbarmt sich und bietet den Podcast an.