Wer murmelt nicht ein „Mal sehen, was es wichtiges gibt“ in seinen Bart, bevor er die Zeitung aufschlägt? Denn darauf ist Verlass: Das Wichtige steht auf der ersten Seite, der Rest folgt weiter hinten. Beim „Wisconsin State Journal“ ist das nun nicht mehr so. Berichtet die Financial Times Deutschland online. Dort entscheiden jetzt die Leser über den Aufmacher des nächsten Tages, also zu welchem Thema Schlagzeilen auf Seite 1 erscheinen. Zwischen 11 Uhr und 16 Uhr werden im Internet fünf Themen zur Abstimmung gestellt. Die Provinzzeitung als Versuchslabor.
Ich finde das völlig daneben. Was soll das denn bringen? (1) Ein besseres Produkt durch eine bessere Themenauswahl? Weil die Abstimmung durch die Leserschaft ein besseres Ergebnis bringt als eine Redaktion mit ihrem versammelten Sachverstand? Oder: (2) Das Ende der statischen Printzeitung vorwegnehmend eine Öffnung zur Onlinewelt? Ein zaghafter Versuch von „Citizen Journalism“?
(1) Der Chefredakteur des „Wisconsin State Journal“ erwartet, dass mehr Sport und mehr Kommentare auf die Titelseite gestimmt werden. Ich frage mich nur, warum er das nicht selbst schon längst getan hat, wenn er doch weiß, was die Leser anders machen würden. Das ist doch sein Job! Es mag ja eine Menge Chefredakteure geben, denen das Gespür für die richtigen Themen und für die Leser fehlt. Dennoch ist die Themensetzung eine anspruchsvolle Tätigkeit, die man in der Hand eines Fachmannes lassen sollte.
(2) Trotz vieler guter Angebote im Internet wird es auch in einigen Jahren noch die reine Printzeitung geben. Manch einer wird die FAZ, den Spiegel oder die c’t wie eh und je beim Lesen in der Hand halten wollen. Oder in der Bahn sich genüsslich darin vertiefen. Oder wie ein Statussymbol unter den Arm geklemmt zur Arbeit tragen. Für viele Zeitungen wird es allerdings eng werden. Die Auflagezahlen werden sinken. Nur muss man nicht gleich jede Sau reiten, die durchs Internetdorf getrieben wird. Das macht es auch nicht besser. Jedenfalls nicht zwangsläufig.
Daniel Große hat sich gerade erst auf Medienrauschen darüber beschwert, dass die einzige Leipziger Tageszeitung ihr Onlineangebot eingestampft hat, um stattdessen ein kostenpflichtiges E-Paper anzubieten. Fabian Mohr berichtet dagegen in seinem „Notebook | Online Journalismus“, dass diejenigen E-Paper, die es bereits in der Republik gibt, kaum gelesen werden. Willkommen in der Sackgasse Saustall. Die Leser werden weiterhin in erster Linie Print- oder Onlineleser bleiben. Nur eines von beiden. Es mag sein, dass das eine Format das andere ergänzt. Aber dieser krampfige Versuch Brücken zu schlagen, wird nichts bringen.
Welchen wirklichen Vorteil hat denn, dass ich beim „Wisconsin State Journal“ am Vortag bereits die Themen für morgen auswählen kann? Wenn ich erst einmal online bin, lese ich doch gleich die News, die es schon online gibt, statt auf morgen und die Papierzeitung zu warten. Es mag sein, dass genau deshalb der Trend zu Hintergrundartikeln und Kommentaren geht. Erste Anzeichen gibt es bereits. Während die Wochenzeitung „Die Zeit“ an Auflage zulegt hat, bauen die überregionalen Tageszeitungen in Deutschland kontinuierlich ab.