Never change a running system. Wer in komplexen Systemen auch nur am kleinen Rädchen dreht, läuft Gefahr, diese lahm zu legen. Nicht ohne Grund hat Spiegel Online lange Zeit keine wesentlichen Designänderungen vorgenommen. Nicht ohne Grund gilt Spiegel Online als das beste Nachrichtenportal in Deutschland. Never change a running system – es sei denn, man kann es noch besser. Spiegel Online hat genau das bewiesen.

Bereits auf den ersten Blick erscheint Spiegel Online klarer. Hier wurde umgesetzt, was vielen Webentwicklern als richtig erscheint. Die Navigation ist konsequent im Kopf der Seite, eine zweispaltige Startseite, größere Abstände zwischen den einzelnen Elementen und viele Verbesserungen im Detail. Der Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron schreibt in seinem Beitrag „SPIEGEL ONLINE 7.0“: „Alle reden von Web 2.0 – SPIEGEL ONLINE ist schon viel weiter“. Und damit hat er wohl recht. An seiner Stelle hätte ich mir diesen Seitenhieb auch nicht verkneifen können.

Was ist schon Web 2.0? Der Begriff taugt nicht wirklich zur Abgrenzung, weil es diese Grenze gar nicht gibt. Spiegel Online hat vielleicht einzelne Elemente aus der Web-2.0-Welt übernommen, letztlich aber nur das Portal verbessert. Der Blogstil bringt mehr Übersicht und auch, dass Ajax momentan nur im Bereich Videos eingesetzt wird, ist wohl zweckdienlich. Die Aufgabe jedes Portals ist es, möglichst viele Inhalte auf einem begrenzten Raum unterzubringen. Und genau darin ist Spiegel Online jedem Blog überlegen.

In den Worten des Chefredakteurs liest sich das so: „Nichts ist ungeordneter als der Strom der Nachrichten. Dieses Chaos zu sortieren, Sie aktuell und zuverlässig über das Wichtige zu informieren, Ihnen die Bewertung von Ereignissen zu erleichtern, das ist unsere Aufgabe.“ Und damit ist implizit auch schon die eigentliche Frage formuliert: Gelange ich nach dem Redesign besser zu den Inhalten, die mich interessieren, oder nicht?

Die neue Top-Navigation ist sicherlich eine Verbesserung, weil sie nun auf allen Seiten einheitlich ist. Die bisherige Klapp-Naviation auf den Unterseiten ist damit passé. Ich fand sie immer nervig, aber es war der Versuch etwas Neues zu entwickeln, insofern mutig. Damals wurde immerhin das zweispaltige Grundlayout vorgegeben, das sich in dieser Form auch auf anderen Websites durchgesetzt hat. Allerdings finde ich die neue Top-Navigation in der Umsetzung nicht gelungen. Die Reiter für die einzelnen Bereiche des Portals werden, so mein Tipp, größer werden.

Jetzt habe ich Spiegel Online schon so viel gelobt, aber noch nicht explizit gesagt, was Spon besser gemacht hat als andere Portale. Ich konnte bislang das Portal aufrufen, scrollte mit dem Mausrad langsam durch die Seite und konnte so innerhalb von 30 Sekunden einen schnellen Überblick darüber bekommen, welche News seit meinem letzten Besuch neu auf die Seite gekommen sind. Nichts war einfacher, als oben anzufangen und dann – einer Richtung folgend – die Überschriften entlang zu scannen.

Dieser Fluss ist nun unterbrochen. Nach wie vor finden sich oben (in diesem Moment) fünf Teaserplätze, durch die größeren Abstände nehmen sie mehr Raum ein, was aber nicht stört, dann erfolgt der erste Bruch mit einer Multimedia- und einer Community-Box. Leser, die nicht gewohnt sind, weiter zu scrollen, werden an dieser Stelle hängen bleiben. Eine Fragmentierung der Seite, wie ich sie auch schon bei Zeit online kritisiert habe.

Danach folgen die Content-Boxen – für jedes Ressort eine, daran hat sich nichts geändert. Aber am Aufbau dieser, sie sind nun zweispaltig. Links wird die Hauptnews angeteasert, mit mehr Text als bisher, ich bezweifele, dass das jemand lesen wird. Rechts folgen die weiteren Meldungen in einfacher Linkform, sie standen bisher unter dem Hauptteaser. Dieser Aufbau hat zur Folge, dass das Auge nun Schlangenlinien fährt. Links zum Teaser, dort ein Stück runter, um den Namen des Autors zu lesen, dann das Stück wieder hoch und nach rechts, um die Links zu scannen, dann wieder runter in die nächste Content-Box, um dort (wieder links) die Überschrift des Hauptteasers zu lesen. Und so weiter.

Screenshot von Spiegel Online
Mehr Zeit für weniger Links: Schlangenlinien fahren beim Newsscannen
(Screenshot von Spiegel Online)

Man kann davon ausgehen, dass wir noch nicht die endgültige Version von Spiegel Online zu Gesicht bekommen haben. Im oberen Bereich hat sich die Bildsprache bereits verändert, die Teaserbilder sind größer geworden (waren sie vorher eigentlich auch schon quadratisch?). Ich kann mir vorstellen, dass sich das Bildformat auch in den Content-Boxen ändern wird. Das würde zwar einen optisch besseren Eindruck machen, aber nichts am Schlangenlinienfahren ändern.

Wenn es denn nur das wäre. Auf den ersten Blick präsentiert Spiegel Online weniger Links pro Content-Box: einen Hauptteaser plus drei Links. Erst wenn man auf den winzigen Link „Blättern“ klickt, erscheinen zwei weitere Links. Das ist wie Schlangenlinienfahren mit zusätzlichem Touchieren der Leitplanke. Entweder werde ich mich in Zukunft mit weniger Links zufrieden geben und somit den einen oder anderen Artikel verpassen, oder ich werde mehr Zeit brauchen. Beides sollte nicht im Interesse von Spiegel Online sein. Alternative Navigationen über die Ressortübersichten oder die Schlagzeilen habe ich weder in der Vergangenheit genutzt, noch werde ich dies in Zukunft tun.

Andere Änderungen werden dagegen wieder auf Zustimmung stoßen. Es gibt einen neuen Bereich „Videos“, der eigentlich Multimedia heißen sollte. Auch da werden wir wohl nur eine vorläufige Version gesehen haben. Angekündigt sind mehrmals täglich eigene Nachrichtensendungen, produziert wie auch andere Beiträge von Spiegel TV Online. Ergänzt durch andere regelmäßige Beiträge wie den tägliche Ehrensenf und die wöchentliche Kino-Kritik und weiteres in dieser Art. Gerade nach Abschaffung meines Fernsehers werde ich es mir wohl zur Gewohnheit werden lassen, die eine oder andere Sendung anzuschauen.

Angekündigt sind auch die Stichworte des Tages. Ich bin gespannt, ob es sich dabei um eine Tag-Cloud handelt. Ich mag zwar keine Tags, aber viele nutzen sie, also sollte man sie auch anbieten. Mit der Verschlagwortung seiner Beiträge wird Spiegel Online auch seine Suchfunktionen und sein Archiv verbessern. Der Login-Link unter der Top-Navigation deutet darauf hin, dass Spiegel Online beabsichtigt, auf Personalisierung und Premium-Inhalte zu setzen. Ich bin gespannt, was Spon dort noch in der Pipeline hat.

Wie wäre es mit Harald Schmidt exklusiv für registrierte (oder zahlende) Leser? Spiegel Online befindet sich momentan auf der Schwelle zu einem Angebot, das mehr ist als nur ein Nachrichtenportal. Hier hat nicht eine Newsseite seine Texte und Bildergalerien um Videos ergänzt, das könnte eine Alternative zum Fernsehen werden. Und auch so simple Elemente wie der Link zum Wetter rechts oben in der Ecke. Passt der dort hin? Nein, aber ich habe vorher das Spon-Wetter auch noch nie wahrgenommen, ich hatte meine eigene Wetter-Website. Aber jetzt kann ich mir vorstellen, dies über Spon zu erledigen. Spiegel Online deckt immer mehr ab.

Wo sich Spon allerdings immer noch nicht herantraut, ist die bessere Einbindung der Leser. Obwohl ein besseres Forum angekündigt wurde (ich habe es mir zugegeben nie angeschaut), gibt es immer noch keine Kommentarfunktion unter den Beiträgen. Schade eigentlich.