Früher zu WG-Zeiten hieß es noch: Macht man den Computer an, schon geht der Kühlschrank auf. Die Ablenkung vom Arbeiten konnte so süß sein. Heute ist sie nicht mehr süß, sondern nur noch nah. Einen Klick weit entfernt. Heute heißt es: Schnell mal bei Spiegel Online vorbeischauen. Dort erfährt man am heutigen Vormittag nicht nur, wie der Stoiber niedergeht, sondern auch, dass „Playboy-Gründer Hugh Hefner […] Pläne mit Beckhams Ehefrau Victoria hat“. Welche bloß?

Spiegel Online hat die Antwort. Und noch viele mehr. Am gestrigen Dienstag wurden 133 Newsmeldungen veröffentlicht, am Montag waren es immerhin 114 Newsmeldungen. Als Online-Newsportal unterliegt Spiegel Online keiner Beschränkung wie die Nachrichten im Radio oder Fernsehen. Diese sind zeitlich und daher auch in der Anzahl begrenzt. Spiegel Online hat eine Fülle an News, muss diese aber auf einem doch recht kleinen Bildschirm platzieren. Wer diese alle im Blick behalten möchte, wer sich da durchkämpfen muss, der benötigt eine ausgefeilte Lesestrategie.

Viele Wege führen auf Spon zum Ziel. Otto Normalsurfer schaut täglich, stündlich oder morgens/mittags/abends vorbei, scannt die Seite und klickt sich durch die Links, die ihm neu und interessant erscheinen. Einige orientieren sich nur an der Startseite, wo Spon in vorbildlicher Weise die neuen und die klickstarken Meldungen rotieren lässt. Andere klicken sich auch in die Ressorts hinein und scannen dort die Seite wie zuvor schon die Startseite. Auf diese Weise hat man ständig eine weitere Newsmeldung zu lesen, dennoch ist es schwer, den Überblick zu behalten. Es sind einfach zu viele News.

Ein etwas systematischeres Vorgehen bemüht sich zuerst einen Überblick über alle erschienen News zu erhalten, um dann die interessanten Meldungen auszuwählen und gezielt anzuklicken. Einen solchen Überblick bieten die Schlagzeilen, dort habe ich auch die gestern und vorgestern erschienen News gezählt. Spiegel Online veröffentlich mehr als hundert Meldungen am Tag, die bekommt man beim normalen Scannen natürlich nicht zu Gesicht. Will man wirklich alle Meldungen erfassen, muss man eben diese Schlagzeilen bemühen oder RSS-Feeds abonnieren. Mit den 3-Minuten-News, dem Newsletter, der Sidebar und dem Newsalert beschäftige ich mich an dieser Stelle mal nicht.

Das große Dilemma ist natürlich der Zeitaufwand. Will man alles mitbekommen, verschlingt dies Unmengen an Zeit. Es reicht eben nicht, mal schnell die Seite nach Neuem zu scannen. Man muss die Schlagzeilen bis zur letzten bekannten Meldung entlang fahren. Und auch dann kann man sich bei Spiegel Online nicht sicher sein. Die Schlagzeilen sind zwar chronologisch geordnet, dennoch tauchen Meldungen mehrmals auf. Alte Meldungen werden auf neue umgeleitet. Bei Updates wird mal ein neuer Zeitstempel gesetzt, mal auch nicht. Das führt dazu, dass man viele Meldungen (oder zumindest ihre Überschriften) mehrmals scannt. Und dazwischen stecken dann noch null interessante Meldungen aus den Ressorts Auto und Reise, die man auch erst mal überlesen muss.

Bei den RSS-Feeds verhält sich dies ähnlich, wobei im Feed die News sorgfältiger zusammengestellt sind als in den Schlagzeilen. Und dann sorgt auch noch der RSS-Reader für mehr Übersicht. Letztlich hat man auch die Möglichkeit, nur die Feeds bestimmter Ressorts zu abonnieren. Aber: Wer die Schlagzeilen und die Feeds liest, bekommt zwar unter gewissem Zeiteinsatz alles mit, verzichtet aber auf die redaktionelle Vorauswahl. Die Sortierung und Gewichtung der Meldung verlagert der Leser zu sich selbst. Auch geraten die Optik der Startseite, Sidebarelemente usw. aus dem Blick.

Genau das macht Spon aber vorbildlich. Handwerklich gesehen werden die Inhalte auf Spiegel Online am besten präsentiert. Da kommt keine sueddeutsche.de mit, kein Zeit online und auch kein n-tv.de. Während andere über Newsrooms diskutieren und „online first“ und vielleicht auch bessere Texte schreiben als Spon, schafft es Spiegel Online doch, diese dem Leser näher zu bringen. Wenn man nun aber die Spon-Meldungen über die Schlagzeilen oder Feeds liest, verzichtet man auf genau diese Zusammenstellung, auf das Ganze. Im Wesentlichen erhält man nur noch Text. Und diese erhalten bekanntlich nicht immer die besten Noten.

Für mich waren RSS-Feeds die Chance, einige ungeliebte Ressorts auszublenden. Das Lesen der Schlagzeilen hat mir zu viel Zeit gekostet. Und ich bin immer noch unzufrieden. Wird mich Spiegel Online deshalb als Leser verlieren? Ist diese Unzufriedenheit, die auch viele andere teilen, das Zeichen für eine Spondämmerung? Sicherlich nicht. Spiegel Online setzt einfach mehr auf die Masse als auf die Klasse (ein verstecktes Eigenlob, ein stinkendes). Panorama, Sprechblasen-Satire, Auto, Reise – das ist Programm. Hier wird der Otto Normalnewskonsument abgeholt. Und dazu wird die passende Werbung eingeblendet: Pauschalreisen und Mittelklassewagen. Warum eigentlich nicht? Mit langweiligen Kunden kann man gutes Geld verdienen. Siehe AOL. Siehe Deutsche Telekom.

Diese Fokussierung auf Spiegel Online (an dieser Stelle wie auch in anderen Medienblogs), dieses hyperkritische Korinthenkacken entspringt doch der Verlegenheit, kein anderes Newsportal zu haben, mit dem man sich auf angenehmere Weise beschäftigen kann. Lesend. Zustimmend. Die konsequente Spiegel-Online-Lesestrategie, wäre es, das Newsportal zu wechseln. Wenn es denn Spon-Alternativen gäbe.