Jede große Liebe geht einmal zu Ende. Im Nachhinein sieht man immer klarer. Im Rückblick habe ich den Schlussstrich oft zu früh gezogen, aber auch nicht seltener zu spät. (Besonders bitter ist es, wenn man selbst keine Chance mehr bekommen hat.) Die Frage nach dem Warum lässt sich eigentlich nicht beantworten: zu komplex wäre die Antwort, um sie in Worte zu fassen. Ich erzähle dann stattdessen von dem Moment, als mir die Augen aufgingen.

Vor zwei Wochen war ich beim Web Content Forum in Köln. Als ich aus dem Haus ging, nahm ich die Zeit mit. Die Fahrt dorthin dauerte anderthalb Stunden. Als ich dort ankam, hatte ich nur noch den Politikteil in der Hand. Auf der Rückfahrt am Abend wurde ich von Jürgen begleitet. Nur ein kurzes Stück in Bonn blieb mir für die letzten Seiten. Als ich zuhause ankam, hatte ich die Zeit ausgelesen – in anderthalb Stunden. Es war nicht das erste Mal.

Ich habe mal gehört, um die Zeit komplett zu lesen, müsste man Rentner sein. Dann würde man es genau in einer Woche schaffen. Ich vermute, der das gesagt hat, schafft es nicht einmal, sich zwei, drei Stunden in der Woche zu nehmen, um die Zeit in Ruhe zu lesen. Seitdem ich die Wochenzeitung lese, also seit 1992, benötige ich zweieinhalb bis viereinhalb Stunden für die Lektüre. Es hat aber auch schon Wochen gegeben, wo ich mich ihr mehr als sechs Stunden gewidmet habe.

Hoch auf den Sockel und wieder runter

Es gab Wochen, wo ich nur sehr oberflächlich gelesen habe, weil mir anderes im Kopf umherging. Dennoch konnte ich der Zeit immer etwas abgewinnen. Man muss auch keine seitenlangen Artikel bis zu Ende lesen, um davon etwas mitzunehmen. Es reicht, dass es überhaupt eine Bereicherung ist.

In diesen 16 Jahren habe ich bestimmt vier von fünf Zeitläuften gelesen. Da ist einiges hängengeblieben. Es gab Zeiten, wo ich mich gezwungen habe, den Wirtschaftsteil zu lesen, weil ich so wenig von dem Thema verstand. Irgendwann habe ich es wieder sein lassen, weil es mir ausreichte. Auch meine Begeisterung fürs Feuilleton, für den Wissensteil und fürs Leben kamen und gingen. Finis und Martenstein hob ich auf einen Sockel und holte sie wieder herunter.

Die Haltung der Zeit und ihre Sprache haben mich wohl am meisten geprägt. Gerne und ausgiebig habe ich Gunter Hofmann gelesen.

Auf anderes verzichtet

Die Liebe zur Zeit war immer von einer Art Treue begleitet. Seit 1995 weigere ich mich, Tageszeitungen zu lesen. Meine Fernsehsucht macht es mir schwer, den Fernseher auszuschalten. Also besitze ich keinen. Lange war die Zeit neben Radionachrichten die einzige Informationsquelle für mich. Dann kam das Internet.

Wer Schwierigkeiten hat, den Fernseher auszuschalten, dem fällt es auch nicht leicht, die Finger von den Newsportalen zu lassen. Das Radio wurde durch Spiegel Online ersetzt. Doch was bedeutet das für die Zeit? Ich finde die Idee schön, sich mit täglichen Nachrichten im Internet zu versorgen und einmal in der Woche eine Zeitung aus Papier in die Hand zu nehmen, um die Inhalte zu vertiefen.

Die Zeit bietet diese Tiefe nach wie vor. Unter Giovanni di Lorenzo hat sich da erst einiges zum Besseren gewendet (mit gut gewählten Themenschwerpunkten quer durch alle Ressorts). Doch in letzter Zeit fehlten mir die großen Artikel – die großen zwei Artikel pro Ausgabe, die allein die Ausgabe von drei Euro nochwas wert sind. Gunter Hofmann schrieb solche Stücke.

Dann doch das Internet

Was die Zeit damit geleistet hat, war eine Einordnung, ein Einbettung von vielen kleinen Ereignissen der Woche in einen größeren Zusammenhang. Doch was die Große Koalition in Berlin macht, interessiert mich nicht. Diese Artikel lese ich einfach nicht mehr. Was ich unter der Woche an Überschriften auf faz.net lese, reicht mir schon.

Und wen ein bestimmtes Thema interessiert, der kann sich dank Internet auch täglich umfassend informieren. Mein RSS-Reader ist wegen Pocketbrain vollgestopft mit Informationsquellen zum Thema Smartphones und mobiles Internet. Das kann keine Zeit, kein Spiegel Online und auch kein heise online leisten.

Am kommenden Donnerstag werde ich die letzte Ausgabe der gedruckten Zeit erhalten. Meine Trauer hält sich in Grenzen. Innerlich habe ich schon längst abgeschlossen. Es hat nur etwas gedauert, bis ich das bemerkt habe.