Es gibt eine neue Dating-Website – „im gegenteil“ – im Stil von Street-Fashion-Blogs und Freunde von Freunden. Ästhetisch äußerst ansprechend, doch leider nur von geringem Gebrauchswert, wenn man einen Partner sucht. Das ist kein Datingportal, durch dessen Tür man einfach so in eine Welt voller potentieller Partner schlüpft und dann hoffentlich auch einen findet. Die Chance, dort selbst porträtiert zu werden, ist gering. „im gegenteil“ hat nicht den Zweck, Menschen auf Augenhöhe zu verbinden, es ist eine Illustrierte. Der Leser darf und soll blättern, stöbern, eine schöne Zeit haben. Sein Blick richtet sich jedoch auf eine Welt, an die er selbst nicht teilhaben kann. Ein asymmetrisches Verhältnis. Das schöne Gefühl beim Surfen ersetzt die Suche nach dem Partner.
Wir sind keine klassische Singlebörse, im gegenteil: Wir zeigen Menschen in ihrer heimischen Umgebung auf ehrliche Weise. Massenware ist out, handverlesene Porträts sind in. Fakes kommen uns dabei nicht in die Tüte – wir haben alle Singles mit dem Prädikat „Top-Ware“ versehen.
Und das stimmt auch. Die Redaktion sorgt für die Bilder, viele Bilder, schöne Bilder, und ein wenig Text – aus ihrer Perspektive betrachtet, bei jedem Porträt durch dieselbe Brille, mit etwas Distanz, aber einfühlend. Das ist nicht der übliche Profil-Bullshit, keine Selbstbeschreibungen, eine schöne, abgeklärte Sprache, abwechslungsreich und ohne hochtrabende Attribute. Die Bilder sind Details, die erst als Mosaik ein Gesamtbild ergeben, zwar immer noch künstlich, aber wahrscheinlich treffender als die oftmals vergeblichen Versuche der Singlebörsennutzer, authentisch zu wirken. Manchmal bloß eine Topfpflanze auf der Kommode oder ein Stapel Zeitschriften im Regal.
Alle paar Tage kommt ein neues Porträt hinzu. Jedermann und auch jede Frau kann dann darunter ein Kontaktformular ausfüllen und auf Rückmeldung hoffen. „im gegenteil“ schafft also im besten Fall doppelt so viele Ex-Singles, wie es Porträtierte gibt. Das ist nicht gerade viel. Wer selbst mit einem eigenen Porträt erscheinen möchte, hat die Möglichkeit, sich zu bewerben.
Gemacht wird „im gegenteil“ von zwei Berliner Mädels um die dreißig. Sie bezeichnen ihr Projekt, so wie es ist, als Online-Magazin und nicht als Datingportal. Die beiden investieren offensichtlich eine Menge Zeit und erhalten dafür nun viel Aufmerksamkeit und auch ein paar Brotkrumen (hoffentlich auch mehr), die sie verdienen, indem sie im Begleitblog Gutscheine von Zalando anbieten. So ein Geschäftsmodell skaliert allerdings nicht anständig.
Um mehr dieser Gutscheine an Mann und Frau zu bringen, müssten wahrscheinlich mehr Profile auf der Website erscheinen. Um jetzt schon etwas Abwechslung hineinzubringen, wird auch in Hamburg porträtiert, nicht nur in Berlin. Um dabei Qualität zu gewährleisten, muss aber weiterhin eine Prüfung stattfinden – in Form eines Hausbesuchs. Die könnte, sofern auf Dauer mehr Profile online gehen sollten, von den Machern langsam in die Hände der Nutzer gelegt werden. Keine Basisdemokratie, sondern ein Netzwerk des Vertrauens. Und dennoch würde dadurch die Qualität sinken, denn Exklusivität ginge verloren, weshalb das wohl auch nicht geschehen wird.
Damit ist dann auch die Hoffnung dahin, dass „im gegenteil“ zumindest so viele Profile versammeln könnte, dass doch wieder die Chance auf ein Date von Angesicht zu Angesicht besteht. Auf klassischen Datingportalen mit hunderttausenden Profilen können alle Nutzer untereinander in Kontakt treten – kreuz und quer. Ob das Matching nun von einem Algorithmus versucht wird oder auf Bildchen setzt, die mit dem Finger über den Bildschirm ins Töpfchen oder ins Kröpfchen geschoben werden, diese Syteme sind automatisiert – sie skalieren bei ausreichender Teilnehmerzahl.
„im gegenteil“ hat richtig erkannt, dass es beim Onlinedating den Bedarf nach einem Filter gibt. Bei der Pimmelprüfung neuer Profile lassen die Anbieter etablierter Onlineportale in der Regel alles zu, was gesetztlich erlaubt ist, die Grenzen des guten Geschmacks werden dabei aber leider nicht beachtet. Und so begegnet man vielem, was man eigentlich nicht sehen wollte. Onlinedating müsste einen Türsteher haben, der nur die guten Leute reinlässt, aber genug, damit es drinnen auch in Schwung kommt. Algorithmen, die das effektiv leisten, habe ich noch nicht gesehen. Ein zweistündiger Hausbesuch zu zweit ist aber auch nicht die Lösung.