Eines meiner Babys ist tot. Zum Jahreswechsel 2021/22 sind alle Inhalte von onlinekosten.de (web.archive.org, 01.04.2003) aus dem Netz verschwunden – und damit auch hunderte Texte von mir. Dabei war es nicht mein Schreiben, das onlinekosten.de zu meinem Baby gemacht haben: Von 2001 bis 2004 war ich Chefredakteur des Onlinemagazins. In diese Zeit haben wir onlinekosten.de neu geformt.

In dieser Zeit stiegen die monatlichen Pageviews von 3,4 auf 6,8 Millionen. Das eine folgte nicht zwangsläufig aus dem anderen, es war damals eine Wachstumszeit. Aber wir wuchsen stärker als die Konkurrenz in unserem Marktsegment! Mit weniger Ressourcen. Darauf bin ich stolz.

Danach ging es nur noch kurz etwas rauf, anschließend stetig runter. Das Wachstum – der Erfolg – war nicht meine Leistung allein, sondern die Leistung eines unvergleichbaren Teams. Das Werk von 10–15 Menschen.

Was hat onlinekosten.de in den frühen Nullerjahren so besonders gemacht?

Geschäftsmodell

Die Rahmenbedingungen waren vom Unternehmen vorgegeben: Wir waren die Billigproduktion unter den Tech-Portalen in der Größenordnung unter 10 Mio. Pageviews im Monat – neben teltarif.de, billiger-telefonieren.de, call-magazin.de und anderen. Golem.de war schon größer, aber auch pc-welt.de, chip.de, computerbild.de und heise.de.

Mit weniger Ressourcen (weniger Personal, schlechter bezahlt) konnten wir es gar nicht schaffen, ein besseres Angebot zu machen als die anderen, jedenfalls nicht nach deren Maßstäben. Also haben wir aus der Schwäche eine Stärke gemacht.

Unsere Unperfektheit wurde zu einer Stimme, die gehört wurde: viel Meinung, eigener Themenzuschnitt, Veröffentlichungen außerhalb der üblichen Dienstzeiten. Wir haben Unterscheidbarkeit hergestellt – durch Originalität.

Neue Leser kamen, Werbung füllte jeden dafür vorgesehenen Platz. Bingo. Außer dass nichts davon bei uns Mitarbeitern ankam. Aber das ist ein anderes Thema.

Tagesgeschäft

Im liberalisierten TK-Markt schossen wir gegen den Marktführer, die Deutsche Telekom. Wir boten der Konkurrenz eine Plattform, und die Leser suchten nach Alternativen. Telefontarife machten andere, wir konzentrierten uns auf Internetzugänge: Internet-by-Call, DSL-Zugänge, Internet über den Kabelanschluss, die ersten Flatrates.

Wir prägten den Begriff „T-DSL light“ in der Berichterstattung, ein Internetzugang mit reduzierter Bandbreite für Haushalte, bei den die technischen Voraussetzungen für das Standardprodukt nicht gegeben waren. Die Pressestelle stritt ab, dass es Planungen dafür gebe, obwohl uns interne Papiere vorlagen. Etwas später gab es das Produkt dann doch und viel, viel später sogar den Namen – weil ihn eh schon alle nutzten.

Zehn Veröffentlichungen am Tag. Oder mehr. Am Wochenende etwas weniger, während andere Redaktionen im Wochenende weilten. Ein paar Agenturmeldungen darunter, aber auch explizite Kommentare, wofür uns die Leser immer wieder feierten. Das war Meinungsjournalismus, dennoch journalistisch korrekt.

Gleich zu Beginn meiner Amtszeit kassierte onlinekosten.de zwei Gegendarstellungen, die Texte wurden vor meiner Zeit geschrieben. Ich habe dann journalistische Grundsätze eingeführt. Später mussten wir noch 1–2 Gegendarstellungen veröffentlichen, doch das war kalkuliert und Teil des Konzepts. Mehr dazu weiter unten.

Nicht nur die Kommentare erhielten orbitant mehr Zugriffe als Newsmeldungen, auch die ersten recherchierten Stücke: Anbieter, die insolvent waren, Hintergründe dazu, Berichte von Geschädigten.

Es kamen Faxe von Rechtsanwälten. Meine Aufgabe war die presserechtliche Absicherung und den Redakteuren Zeit für die Recherche zu verschaffen. Die zehn Newsmeldungen wurden mehr oder weniger im Stundentakt geschrieben. In Kommentare und Enthüllungen dagegen floss Zeit und Herzblut. Das Ergebnis waren oft hunderttausende von Pageviews, während manche Agenturmeldung nicht mehr als 350 Klicks erhielt.

So bauten wir unsere Stammleserschaft aus, die uns mehrmals täglich aus eigenem Antrieb ansteuerte. Damals gab es kein SEO, kein Social Media und kein Google News. Die Unverwechselbarkeit unserer Texte ließ sie wiederkehren. Wie man heute sagen würde: Das waren earned clicks.

Investigativ- und Boulevard-Journalismus

Wir hatten aber auch einen Redakteur im Team, der das Boulevard beherrschte. Damit meine ich nicht eine besonders ‚fetzige‘ Überschrift. Das auch. Sondern das Talent, an fremden Türen zu klopfen und den Menschen etwas zu entlocken, die sie eigentlich nicht preis geben wollen.

Aus seiner Person wurde das Konzept entwickelt, nicht umgekehrt. So etwas kann man nicht anordnen oder beibringen, das muss man im Team haben.

Unter anderem berichtete er über Deutschlands dreistesten Online-Betrüger (web.archive.org). Der rief dann sowohl bei ihm als auch bei mir zuhause an und versicherte uns, dass wir nichts zu befürchten hätten. Gruselig. Zumindest für einen Moment.

Die ersten Gegendarstellungen, die unseren handwerklichen Fehlern geschuldet waren (siehe oben), haben wir noch schnell beerdigt: in den frühen Morgenstunden veröffentlicht, ganz schnell mehrere Texte hinterhergeschoben, dass die Gegendarstellung schnell von der Startseite verschwunden war.

Im Rahmen der investigativen Recherchen kam des Öfteren ein Ersuchen um Gegendarstellung. Wir haben damit gerechnet, wussten vorher aber schon, wenn wir das abschmettern konnten. Ein-, zweimal haben wir es sogar in Kauf genommen, um die Gegendarstellung dann groß zu platzieren. Unsere Leser haben sie entsprechend kommentiert.

Forum

Was kaum einer weiß: onlinekosten.de war als Forum gestartet. Dort wurde diskutiert, dort erschienen auch die ersten Meldungen, um sich gegenseitig zu informieren. Erst im nächsten Schritt wurde daraus ein News-Portal, dem das Forum dann immer noch zur Seite stand.

Für viele blieb es aber das Herzstück. Dort herrschte Leidenschaft. Es war Heimat. Dort wurden Teilnehmer zu Moderatoren, die es schafften eine ganz besondere Stimmung herzustellen. Einige von ihnen wurden auch zu Mitarbeitern. Im Forum ließen wir unsere Beiträge kommentieren, nicht unter dem Text selbst, wie es heute übrig ist.

Datenbanken

Eine weitere Besonderheit von onlinekosten.de waren die Datenbanken. Während woanders Call-by-Call im Fokus stand, waren es bei uns Internetzugänge. In den Datenbanken waren alle Tarife zu finden. Wirklich alle! Schneller aktualisiert als woanders. Und mit mehr Details versehen. Onlinekosten.de war schlichtweg die beste Quelle für aktuelle Tarifinformationen.

Auch das hing wieder an einer Person im Team. Sein Eifer, seine Akkuratheit ließ sich nicht anordnen. Normalerweise braucht es einen Prozess mit viel Personal und diversen Kontrollmechanismen, um so etwas hinzubekommen. Ebenfalls ein Glücksfall für uns.

CMS und Server

Onlinekosten.de lief auf einem selbst entwickelten CMS. Genau genommen waren es sogar zwei, die aneinandergeklatscht waren. Zusammen mit Datenbanken und Forum war alles auf mehreren schwachbrüstigen Servern verteilt. Die Herausforderung bestand darin, diese am Leben zu erhalten und dann noch ein gutes Load-Balancing hinzubekommen. Auch hier hing wieder alles an zwei genialen Administratoren.

Was auf dem Frontend geschah und im Redaktionssystem, das konnte ich mitgestalten. Wir hatten bereits ein einfaches Statistiktool, bevor es Google Analytics gab. Das zeigte uns ein paar KPIs, um das Wachstum einzelnen Bereichen zuordnen zu können. Und selbstverständlich gab es eine TOP 100 der Beiträge mit den meisten Zugriffen.

Auch in der Technik wurde die Schwäche zur Stärke. Administration und Entwicklung waren so herausfordernd und inspirierend, dass wir Leute hatten, die ihre Arbeit oft über Nacht erledigten. Abends in Auftrag gegeben, morgens fertig. Nicht nur im Notfall, sondern auch, weil sie Lust auf ein neues Feature hatten.

Team

Als ich ins Team kam, waren fast nur Schüler dort. Später wurden es mehr Studenten. Ich blieb der einzige Vollzeitler. Alle waren extremst motiviert und engagiert, vom Projekt getrieben, nicht vom Geld. Da wurde nicht abgearbeitet, sondern selbstständig nach Aufgaben gesucht, die wirklich interessieren. Und zwar die Leser.

Die Kunst war, das Team entsprechend umzubauen. Redakteure gehen zu lassen, neue ins Team zu holen. Mit den richtigen Menschen lässt sich viel erreichen.

Und nun?

2015 wurde onlinekosten.de an Verivox verkauft. Die Tarifdatenbanken wurden abgeschaltet. Seitdem gab es nur noch Einheitskost aus dem Verivox-Universum. Umformulierte Pressemitteilungen. Alles seelenlos.

Zum Jahreswechsel wurde onlinekosten.de eingestellt. Aktuell findet sich dort nur noch ein One-pager, der die Geschichte nachzählt, dabei aber das Wesentliche auslässt: was onlinekosten.de in seinen frühen Jahren so einzigartig gemacht hat.