Das Volk schreibt mit Wikipedia sein eigenes Lexikon, dann kann doch auch das Wahlvolk mit einem Wiki sein eigenes Wahlprogramm schreiben, oder? Nichts leichter als das. Unter GrünesWiki:Portal haben die Grünen ihr Programm zum Mitschreiben geöffnet.

Wir möchten mit Hilfe dieses Wikis bis Samstag – 4. Juni 2005 / 18:00 Uhr – allen die Möglichkeit geben, an der Entwicklung unserer Positionen teilzuhaben, sie zu ergänzen und zu erweitern.

Das ist Basisdemokratie pur, könnte man meinen. Die Partei lässt der Basis allerdings nur ganze vier Tage Zeit. Zur Diskussion steht außerdem nur ein einziger Abschnitt, dafür aber passend die „Digitale Gesellschaft“. Zur Halbzeit der Bearbeitungszeit waren bereits ein paar hundert Änderungen am Ursprungstext vorgenommen worden. Überarbeitungen erscheinen teilweise im Takt von wenigen Minuten.

Dennoch darf man sich darüber nicht täuschen lassen, dass es nur wenige Wähler – sogar nur wenige Parteimitglieder sind -, die sich am Schreiben des neuen Wahlprogrammes beteiligen. Moment mal, geschrieben wird im Grünen-Wiki eigentlich nur ein Entwurf für das Wahlprogramm, denn:

Im Anschluss wird der Text seinen normalen politischen Weg gehen und von einer Wahlkampfkommission in den Wahlprogramm-Entwurf aufgenommen werden.

Oder auch nicht.

Der Frage, ob nun ein Wiki oder eine Redaktion das bessere Lexikon erstellt, entziehen sich die Grünen auf klassisch-dialektische Weise: Sie machen beides: Erst dürfen alle mitschreiben, dann zückt die Programmkommission den Rotstift. Was die Grünen hier zeigen, ist nichts Neues, sondern ein klassisches „Weiter so“.

Die Frage ist, ob Wikis überhaupt für die politische Diskussion taugen. Die Arbeit an der Wikipedia funktioniert deshalb so gut, weil die Erstellung eines Lexikons ein konvergenter Prozess ist. Jede Version ist nur eine vorläufige Version. Jeder Änderung führt aber auch zu einer Verbesserung, die normalerweise von allen Beteiligten anerkannt wird.

Bei der Erstellung von politischen Programmen jedoch, kann es gut passieren, dass ein Lager die Parolen des anderen Lagers überschreibt. Und umgekehrt. Das führt dann zu keinem brauchbaren Ergebnis, sondern zum fortwährenden Ping-Pong-Spiel. Politik ist die Kunst, Entscheidungen herbeizuführen – und die demokratische Form dafür ist immer noch die Abstimmung.