Die Schamgrenze sinkt. Die Bikinis werden immer knapper, aber darum geht es hier gar nicht. Nur am Rande. Neulich erschlug ich ein fliegendes Ungeziefer, ein Insekt, und freute mich wie ein kleines Kind. Nicht, weil ich nun endlich Ruhe davor hatte, ich erschlug es mit dem Greenpeace-Magazin. Die Werber von Benetton hätten ihre wahre Freude daran gehabt. „Her damit! Her!“, höre ich sie rufen. „Wir machen eine neue Kampagne daraus.“ Hat Greenpeace in den Achtzigern noch meine ökologische Moral geprägt, war dies leider nicht nachhaltig. In den Neunzigern hat Benetton mich verdorben.

Totes Insekt auf Greenpeace-Magazin

Benetton gab es natürlich auch schon in den Achtzigern. Es war das ideale Kleidungsstück für brave Mädchen. Strickbunte Ringelpullis bedeckten die brustlosen Körper meiner Klassenkameradinnen (okay, das war bei den meisten nur in den frühen Achtzigern der Fall). Benetton-Werbung war nett, bunt und voller lachender skandinavisch-blasser oder afrikanisch-brauner Menschen. Ein Stück heile Welt. Eine Illusion von Multikulti-Pop. In Zeiten, in denen String-Tangas für Kinder angeboten werden, hat Benetton allerdings keine Chance mehr. Heute verkaufen H&M und Zara Bügel-BHs an flachbrüstige Teenager.

Anfang der Neunziger hatte Benetton anscheinend sich selber satt. Aber anstatt das Programm zu ändern, wurde nur andere Werbung geschaltet. Wenn man bei Google nach dem Begriff „Schockwerbung“ sucht, bekommt man „Benetton“ gleich mitgeliefert. Die beiden Begriffe sind untrennbar miteinander verbunden: Ölverschmierte Vögel inmitten einer Umweltkatastrophe, die blutgetränkte Kleidung eines in Bosnien erschossenen Soldaten, ein menschlicher Knackarsch mit dem Stempelaufdruck „H.I.V. positive“. Benetton wollte auffallen und unterlief dafür die damals gängigen Tabus. In Deutschland musste sich sogar das Bundesverfassungsgericht mit diesem Thema beschäftigen. Die Werbung wurde nicht verboten.

Benetton-Werbung

Man munkelte, dass die Werbung nicht erfolgreich war. Man mag das dem krassen ästhetischen Gegensatz zuschreiben. Schöne Menschen, die Benetton trugen, wollten einfach nicht mit der Hässlichkeit von Tod und Umweltkatastrophen konfrontiert werden. Tatsächlich steckt aber ein moralischer Gegensatz dahinter. Die Werbeschaffenden (von Natur aus links-subversiv) machten Werbung für das Konsumspießertum, die sich um ökologische Moral einen Dreck scherten (meinten sie zumindest). Den Spießern wurde der Konsum von Benettonprodukten madig gemacht, die Werbeschaffenden verdienten sich eine goldene Nase daran.

Apropos madig, zurück zum Insekt auf dem Greenpeace-Magazin. Das holt heutzutage keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Schockwerbung gibt es viele, nur dass sie keiner mehr so nennt. Sie ist alltäglich geworden. Benetton war nur der Anfang, zumindest für Benettonträgerinnen. Geprägt wurde allerdings eine ganze Generation, zumindest in ästhetischer Hinsicht. Ob eine Werbung ein Aufreger ist oder nicht, hat nichts mehr mit dem Produkt oder Moral zu tun. Leider oder gottseidank? Auch das ist mir egal. Hauptsache das Insekt nervt mich nicht mehr.