„Du Sau!“ – das hört man schon mal, wenn man als Journalist nicht nur Pressemitteilungen abtippt, sondern auch die dunklen Seiten der Mitmenschen aufdeckt. Gerade, wenn diese über keine eigene PR-Abteilung verfügen. Von hilflos („Was wollen Sie eigentlich von mir?“) bis aggressiv („Ich weiß, wo sie wohnen!“) ist alles dabei. Mal ehrlich, in jedem von uns steckt doch ein kleiner investigativer Journalist. Du bist Bob Woodward. Oder zumindest Günter Wallraff. Das allein ist journalistische Qualität, oder? – Oops. Falscher Film. Hier lesen ja nicht die beschlipsten Chefredakteure diverser Lokalredaktionen, sondern die technische Elite. Also, nochmal von vorne.
„Er wird ein Multitalent sein, der Journalist der Zukunft: Nicht nur als Könner in allen Medien – von der Zeitschrift bis zum Internet-Auftritt. Sondern auch in seinem virtuosen Umgang mit den Darstellungsformen des Journalismus: Korrespondent und Reporter, Portraitist und Interviewer, Kommentator und Nutzwertschreiber – alle diese Fähigkeiten wird er vereinen.“ So die Pressemitteilung des Verlages Gruner + Jahr anlässlich der 1. Soiree der Henri-Nannen-Schule. (via newsroom.de) Das ist zwar noch kein Qualitäts-Journalismus, aber zumindest eine Qualitäts-Pressmitteilung. Und die hat es in sich.
Der „Journalist der Zukunft“ (O-Ton Prof. Dr. Michael Haller) wird ein „Medienmacher“, ein „Allround-Journalist“ sein, der „Nachricht, Reportage und Kommentar“ beherrscht und „mulitmedialer“ (schöner Komparativ übrigens) arbeiten wird. Nebenbei öffnen sich Print, Internet, mobile Dienste, Hörfunk und TV füreinander – wie unsere Eltern sich seinerzeit für den neuen WG-Mitbewohner in der Kommune (Stichwort: freie Liebe). Folgenden Satz habe ich leider nicht verstanden: „Die Line-Extensions der großen Marken werden noch vielfältiger und erstrecken sich immer tiefer in neue Medien“. Hört sich aber gut an. Und betrifft ja auch erst den Journalisten der Zukunft.
Demnächst geht es also nur noch mit dem Camcorder aus dem Haus. Wenn der „Allround-Journalist“ dann das Hinterzimmer der Kneipe wieder verlässt, setzt er sich noch schnell an die Theke und holt den Laptop raus. Dort wird als erstes eine Einmeldung in maximal 160 Zeichen formuliert – für den SMS-Newsletter. Anschließend formuliert der „Journalist der Zukunft“ einen Kurztext fürs Internet (4 Absätze à 6 Zeilen), versehen mit einer kompletten Fotostrecke. Direkt eingegeben ins Redaktionssystem via UMTS. Bevor aber nun die Langversion für die Printausgabe geschrieben wird, muss schnell noch das Interview mit dem Vorsitzenden geschnitten werden. Noch am selben Abend soll es im Radio gesendet werden. Schließlich geht es nach Hause an den stationären Rechner. Dort ist die notwendige Software installiert, um die Videoaufnahmen zu bearbeiten. Eilig ist es nicht, denn es sind ja noch ein paar Tage Zeit, bis im offenen Kanal der Fernsehbeitrag gesendet wird – von der Jahreshauptversammlung des örtlichen Kaninchenzüchtervereins. Super Nachrichtenwert.
Der Journalist als eierlegende Wollmilchsau? Das mag ja technisch alles möglich sein, was in diesem fiktiven Szenario geschildert wurde. Die ganze Technik beherrschen werden aber wohl nur wenige. Schließlich kämpfen genug Journalisten bereits mit der deutschen Sprache. Es wird wohl nur zwei, drei Videojournalisten geben, die mit einer solchen Alround-Ausstattung und auf eigene Faust vom nächsten Krieg berichten werden – wo auch immer die USA diesen anzetteln werden.
Ein anderer Punkt ist aber noch viel wichtiger: Auch wenn der „Journalist der Zukunft“ die technischen Möglichkeiten allesamt beherrschen sollte, finanzieren wird ihm das keiner. Die Redaktionen bauen Personal ab – seit Jahren schon. Das immer üblich werdende Durchwinken von Pressemitteilungen liegt nicht an der Faulheit des Redakteurs oder seinen ungenügenden handwerklichen Fähigkeiten, sondern in der Tatsache begründet, dass ihm schlichtweg die Zeit fehlt, mehr aus einer Geschichte zu machen. Allein das Recherchieren (ein simples Anrufen und Fragen stellen) fällt ja oft schon unter den Tisch. Neben der eierlegenden Wollmilchsau (die es bestimmt geben wird) gleichen die meisten Journalisten der Zukunft wohl eher der Henne in der Legebatterie. Gemessen wird allein der Output.