Wenn der Luther mit seinem Buddy Melanchton ständig via IM gechattet hätte, stände heute keine Luther-Bibel in meinem Bücherschrank, zumindest hätte die Übersetzung länger gedauert. Dieser lesenswerten (!) These des Netzbuches (bei Gerrit auf praegnanz.de gefunden) kann wohl jeder zustimmen, der selbst einen Großteil seiner Zeit vor dem Rechner verbringt. Wenn sich einem nicht alle drei Minuten das E-Mail-Programm oder der RSS-Reader aufdrängt, spielt man eben eine Runde Solitär.
Der heutige Infoworker ist zwar besser informiert, braucht aber auch länger für seine Arbeit. Bei Gerrit selbst lese ich dann, wie produktiv er ist, wenn er ohne Internetzugang im ICE sitzt. Ich habe da immer Angst, dass mir jemand über die Schulter schaut, sieht, was ich schreibe, aufsteht, mit dem Finger auf mich zeigt und lacht: „Sag mal, bist du etwa einer dieser Blogger?“ Meistens traue ich mich dann nur, um nicht erkannt zu werden, im Zug ein Buch zu lesen.
Nun gut, so oft fahre ich auch nicht mit der Bahn. Die meiste Zeit geht wohl doch am Schreibtisch flöten. Ralle empfiehlt im Netzbuch deshalb auch die gute alte Schreibmaschine (von der, nebenbei bemerkt, Luther nicht den blassesten Schimmer hatte), seinetwegen auch als Software, die alles Geblinke und Getute des Rechners unterdrückt. Eine ziemlich radikale Lösung, der Hobby-Leary würde jetzt von kaltem Entzug sprechen. Konsequent hätte ich es gefunden, mit dem gesparten Strom dem rückfällig werdenden Infojunkie kleine Stöße zu verpassen, so ein Programm lässt sich nämlich auch wieder schließen. Ohne einen kooperativen User geht es wohl nicht.
Auf die gute alte Schreibmaschine umzusteigen, könnte ich allerdings auch gar nicht mehr. Meine Art, Texte zu schreiben, hat sich extrem verändert, seitdem ich einen Computer besitze. Ich fange nicht mit dem ersten Satz an und höre nicht mit dem letzten auf. Meine Texte sind ein fortwährendes Konzeptpapier, da wird schnell mal das Ende an den Anfang verschoben. Ich frage mich nur, wie die Schüler das heute machen, wenn sie Klausuren in einem Zug durchschreiben, von daheim aber das Schreiben am Computer gewöhnt sind. Die Schreibmaschine würde zwar wieder die Arbeitsschritte „Ideen entwickeln“, „Schreiben“, „Korrigieren“ trennen, aber will ich das überhaupt?
Wenn wir die Fähigkeit zur Konzentration auf die eigene Aufgabe verlieren, müssen wir eben einen Großteil der Ablenkungen ausschalten. Eine Art warmer Entzug. Da wird dem Kollegen dann die Tür vor der Nase zugeknallt, das Telefon wutentbrannt aus dem VoIP-Adapter gerissen und dem Rechner erst einmal ordentlich die Flügel gestutzt.
Das geht schon mit ganz einfachen Mitteln:
– E-Mail-Programm und RSS-Reader nach dem manuellen Abruf wieder schließen
– kein IM, kein Skype
– alle Warn- und Benachrichtigungstöne des Rechners ausstellen
– alle Spiele deinstallieren
Mit etwas Disziplin lässt sich auch ein wenig Ordnung halten:
– Posteingang leer halten
– Desktop leerräumen, keine Verknüpfungen mit Programmen, nur Dateien ablegen, an denen man gerade arbeitet und die man bald beendet haben will
– nicht zu viele Browserfenster geöffnet haben
– MP3 statt Radio hören, am besten ganz ausschalten
– möglichst wenig auf dem Schreibtisch liegen haben
Und sich Zeiten reservieren, wo man den Kleinkram wegschafft, und Zeiten, wo man konzentriert arbeitet.
In den letzten Wochen hätte ich dann wohl besser auch manchmal den Kicker-Ticker angestellt, als das DVB-Fenster kleinzuziehen und am rechten Monitorrand zu positionieren. Aber das haben wir ja nun hinter uns. Zur Belohnung spiele ich jetzt erst einmal eine Runde Solitär. Das Spiel habe ich zwar vom Rechner gelöscht, aber wozu gibt es das Internet? Da findet man alles. Man muss nur richtig suchen!