Schon lange wusste ich, dass es ein Buch über Spiegel Online geben würde. [Bauchpinselmodus an] Schließlich sprach Julia Bönisch auch mit mir über dieses Thema und widmete Netzausfall eine halbe Seite. [Bauchpinselmodus aus] Dennoch habe ich lange gebraucht, bis ich selbst „Meinungsführer oder Populärmedium? Das journalistische Profil von Spiegel Online“ gelesen habe.
Das Profil der Spiegel Online beobachtenden Journalisten
Zwischzeitlich fand ich in anderen Blogs eine Menge Bemerkungen darüber. Verblüfft war ich aber schon, als ich auf den ersten Seiten des Buches lauter Textpassagen begegnete, die ich bereits woanders zitiert gelesen hatte. Mir scheint, die meisten der lieben Kollegen sind nicht über die ersten Seiten hinausgekommen, schade eigentlich, denn die interessanten Aussagen stecken weiter hinten im Buch.
Diesem liegt eine Magisterarbeit zugrunde, und die dort durchgeführte Umfrage liegt bereits zwei Jahre zurück, Ende 2004 war das. Angesichts der sich aneinander reihenden Wir-sind-zehn-Jahre-online-Feiern diverser Newsportale, ist dies schon eine kleine Ewigkeit. Das Wertvolle dieses Buches sind daher nicht die empirischen Daten, da dürfte sich einiges verschoben haben, sondern einzelne, konkrete Wortmeldungen und Beobachtungen. Schlüsse wurden nicht wirklich gezogen. Ist Spiegel Online nun Meinungsführer oder Populärmedium? Gibt es eine eindeutige Antwort? So entweder-oder ist die Frage gar nicht, aber darauf kommt es auch gar nicht an.
Man sollte meinen, man erführe eine Menge über Spiegel Online, so ist dies aber nicht. Wo die Kantine liegt und wann sie geöffnet hat, ist eine interessante Anekdote, mehr aber auch nicht. Julia Bönisch hat einige Monate für Spiegel Online gearbeitet, Insiderwissen offenbart sie dennoch nicht. Vielmehr erfährt man in ihrem Buch, wie Journalisten sich winden, wenn sie über Spiegel Online befragt werden. Fragt man sie, wie sie Spiegel Onlie finden, sagen sie: hui. Fragt man sie, ob sie sich in ihrer journalistischen Arbeit von Spiegel Online leiten lassen, heißt es plötzlich: pfui.
Das Thema Konkurrenzbeobachtung wird nur mit spitzen Fingern angefasst, schließlich könnte einem ja unterstellt werden, man hätte beim Lesen von Spiegel Online lange Finger gehabt. Niemand möchte in den Verdacht geraten, er würde bei Spiegel Online abschreiben. Erst recht nicht die so genannten Qualitätsmedien, die aber erstaunlicherweise eine sehr dezidierte Meinung über Spiegel Online haben, während den Radiofuzzis in privaten Sendern Spon eher komplett am Arsch vorbeigeht.
Das Buch ist weder ein Insiderreport noch eine Best-Practice-Studie, dennoch ist es jedem Onlinejournalisten zum geistigen Kaugummikauen empfohlen. So wie Wolf Schneiders Handbuch des Journalismus eben jedem Journalisten. Viele Gedanken dürften einem nicht fremd vorkommen, aber dennoch wird man ordentlich zum Nachdenken angeregt. Das soll bekanntlich nicht schaden.
Was immer wieder durchscheint (ohne aber Gegenstand der Magisterarbeit oder explizit des Buches zu sein), sind die schlechten Bedingungen, unter denen Onlinejournalisten arbeiten. Die Zeitnot, der Druck. Husch, husch, schnell, schnell. Das führt wohl auch dazu (dies ist ebenfalls kein Schluss des Buches), dass viele Journalisten neidisch auf Spiegel Online blicken, aber dennoch genüsslich jeden Fehler zitieren, den sie dort finden. Ich kann das ja auch sehr gut.
Es ist gut, dass man ein wenig von der Diskussion „Sind Blogger Journalisten?“ wegkommt. Die nervt genauso wie noch vor ein paar Jahren die Diskussion „Sind Onlinejournalisten Journalisten zweiter Klasse?“. Es ist gut, sich die Bedingungen, unter den journalistische Websites gemacht werden, näher anzuschauen. Da wird billig produziert, Entschuldigung, kostengünstig. Und manche Angebote wie Spiegel Online bekommen das auch sehr gut hin. Dennoch wünsche ich mir, dass die Zeit oder die Süddeutsche das noch besser hinbekommen. Ohne Boulevard.
Onlinejournalismus kann nicht bedeuten, man reicht ein paar Agenturmeldungen durch und schaut dann bei Spiegel Online, welche Agenturmeldungen die genommen haben, um dann eventuell diese noch nachzureichen. Folgendes Beispiel im Buch hat mir gefallen: Die Netzeitung macht gerne Interviews mit Politikern aus der zweiten Reihe und wird dadurch überdurchschnittlich viel in anderen Medien zitiert. Um solche Ansätze sollte es in Zukunft mehr gehen.