Irgendwann musste die Zeit ja über den Wahlkampf ihres beurlaubten Herausgebers reden. Michael Naumann kandidiert für die SPD in Hamburg. Am Sonntag wird gewählt. Keine leichte Aufgabe. Aber anscheinend möchte die Zeit ihren Herausgeber wegloben. Ein Stück wie bestellt.

  • „Hier ist er“, brüllt jemand ins Mikrofon, „Hamburgs nächster Bürgermeister!“ Michael Naumann macht einen Satz hinauf, dann steht auf der großen Bühne im Licht.
  • Er hat in seinem Leben reichlich Lob abbekommen, er steckt das gut weg.
  • Mit Schutzhelm ist der Schöngeist nun unterwegs auf U-Bahn-Baustellen, der Kenner amerikanischer Lyrik kämpft sich jetzt durch die Prosa der Kommunalpolitik.
  • Großkalibrige Sachen reizen Naumann, ein Bürgermeisterjob war noch nicht dabei.
  • Die Reden des Herausforderers sind plötzlich weniger kompliziert, nicht mehr ganz so analytisch, statt klassischer Zitate mehr Herz, mehr Mitgefühl.
  • Da ahnt man, dass das ein Mann mit Leidenschaften ist und auch mit Obsessionen.
  • Er hat die Stimmung gedreht, die Verachtung für die Genossen in der Stadt weggezaubert.

Hanns Bruno Kammertöns, Unordnung und spätes Leid, Die Zeit, 21. Februar 2008, S. 6

Jeden Hauch einer Kritik kann man getrost als Feigenblatt abtun. Auch im Bericht über Ole von Beust, eine Seite weiter, finden sich diese. Aber „nett“ ist bekanntlich die kleine Schwester von scheiße. So war es dann wohl auch gemeint.

  • … das Phänomen, dass da einer regiert, ein Christdemokrat in einer sozialdemokratisch geprägten Stadt, der Entscheidungen trifft, die andere das Amt kosten würden, der Krankenhäuser privatisiert, Studiengebühren erhebt und sich eigenmächtig über Volksentscheide hinwegsetzt …
  • Politiker trifft Bürger – die Situation ist durch und durch arrangiert und könnte sehr leicht sehr peinlich werden.
  • Doch je näher man herankommt, je häufiger man von Beust in diesem Wahlkampf zuhört, je länger man ihn auf seinem täglichen Gang über die Hamburger Wochenmärkte begleitet, desto schwerer fällt es zu sagen, wofür er streitet.
  • Das Unbestimmte, das seinen Besuch in Jenfeld auszeichnete, ist immer da.
  • Er weicht nicht aus, das nicht. Aber man wird den Eindruck nicht los, als müsse der Politiker von Beust zur Politik häufig erst gezwungen werden.
  • Ist das noch überparteilich oder bereits unpolitisch?
  • Es wäre der maximale politische Ausgang eines fast politikfreien Wahlkampfs.

Matthias Krupa, Bekenntnisse eines Unpolitischen, Die Zeit, 21. Februar 2008, S. 7

Ebenfalls merkwürdig ist der Umstand, dass beide Autoren ihren Kandidaten zu einem Wahlkampfauftritt in Jenfeld begleitet haben und es dabei ums Essen ging. Aber so ist das nun einmal in der Lokalredaktion. Auch die Bildauswahl – in der gedruckten Zeit wie auch online – unterstützt den gesamten Eindruck einer Schieflage. Meiner Meinung nach gewinnt Michael Naumann, wenn er die Wahl verliert. Und die Zeit auch. Nach so einem Tendenzgeschmiere haben die ihn dringend nötig.

Ich mag weder die Welt noch Benjamin Stuckrad-Barre, aber was er dort über Michael Naumann geschrieben hat, liest sich ganz anders.