Das Wesen einer Totenrede ist der Rückblick, und sie hätte im Bezug auf Nokia auch schon beinahe vor anderthalb Jahren gehalten werden müssen. Doch dann kam Stephen Elop als neuer Chef und krempelte so einiges im Laden um. Er traf die unpopuläre und nicht nur deshalb große Entscheidung, die beiden hauseigenen Betriebssysteme Symbian und Meego sterben zu lassen. Stattdessen setzte er auf Windows Phone. Er beließ es aber nicht bei einer Grundsatzentscheidung am Anfang, sondern baute das Unternehmen an vielen Stellen um. Das Nokia N9 und das Nokia Lumia 800 gaben ihm Recht. Nach den beiden Messen CES 2012 im Januar und der Pressekonferenz gestern im Rahmen des Mobile World Congress 2012 muss ich allerdings gestehen, ich habe den Glauben an Nokia verloren.
Eine Rakete, die ins All gelangen soll, zündet in mehreren Stufen. Diese Gelegenheit hat Nokia erst einmal verpasst. Das Lumia 900, das zur CES vorgestellt wurde und nun auch zwischen Anfang April und Ende Juni für 570 Euro nach Deutschland kommen soll, ist bloß eine Variation des Lumia 800, aber kein Schritt nach vorne.
Was hat Nokia stattdessen gezeigt? Das Lumia 610 wird vor allem günstig sein und darüber vielleicht das Herz des einen oder anderen Jugendlichen mit Geldnot erobern, vor allem aber die sogenannten Schwellenländer. 225 Euro soll das Smartphone mit Windows Phone hierzulande kosten. Dafür erhält man nur einen 800-MHz-Prozessor und 256 MB Arbeitsspeicher. Unter Android funktionieren solche Geräte auch. Irgendwie. (Mehr Details bei Golem.)
41 Megapixel im Symbian-Smartphone
Ohne Superlativ geht es aber dennoch nicht. Das Nokia 808 PureView wird eine Kamera mit Carl-Zeiss-Optik und 41 Megapixel haben. Wer glaubt, sich verlesen zu haben: Es sind tatsächlich einundvierzig Megapixel. Wow! Ich musste jedoch einige Texte lesen, bis ich verstanden hatte, dass das Nokia 808 auch ein Smartphone ist und nicht bloß eine Digitalkamera. Nokia erwähnt nämlich nur am Rande, dass das Nokia 808 unter Symbian, pardon, unter Nokia Belle läuft. (Mehr Details ebenfalls bei Golem.)
Ein Windows Phone mit 41-Megapixel-Kamera, das wäre der Hammer gewesen. Anscheinend ist das aber technisch noch nicht machbar. Nokia ist damit das Bayer Leverkusen unter den Smartphone-Entwicklern, mischt überall oben mit, ist am Ende aber nie die erste Wahl – in diesem Fall an der Ladentheke. Das Nokia 808 PureView ist der Nachfolger des beliebten Nokia N8 und hat einen Single-Core-Prozessor, der mit 1,3-GH getaktet ist, ein 4-Zoll-Display mit 640 x 360 Bildpunkten, 512 MB RAM, 16 GB Speicher sowie einen Steckplatz für Micro-SD-Karten.
Erwartet hatte ich dagegen ein weiteres Smartphone mit Windows Phone auf dem Niveau des Nokia Lumia 800 – vielleicht mit QWERTZ-Tastatur oder mit einem anderen Design. Worauf ich gehofft hatte, war eine neue Oberfläche, die Microsofts Metro-Design ersetzt. Dieser Wunsch war nicht ganz unberechtigt, denn vor genau einem Jahr wurde bei der Vorstellung der Partnerschaft mit Microsoft betont, das Nokia auch das Betriebssystem verändern dürfe. Bei einer inoffiziellen Vorstellung des Nokia N9, des ersten und letzten Meego-Handys, betonte dann Stephen Elop, dass man das Design wiedersehen werde. Offensichtlich meinte er nur die Hardware und nicht die schöne Harmattan-Oberfläche. Schade.
Alles weg: Kunden, Ausdauer und Kapital
Was Nokia nun stattdessen in Barcelona an neuer Software vorgestellt hat, sind Updates für Nokia Maps und Nokia Drive sowie der neue Dienst Nokia Reading der sich als Hub in die Oberfläche von Windows Phone einfügt und einen E-Reader, Audio-Books und einen Feed-Aggregator zusammenführt. Das ist zwar alles nett, mehr aber auch nicht.
Von der dritten Messe zum Jahresanfang, der CeBIT, sollte man sich nichts erhoffen. Auch mit einer gesonderten Vorstellung eines neuen Top-Smartphones rechne ich nicht – vielleicht im Juni mit einem Update des Betriebssystems, um dem iPhone 5 und Android 5.0 die Schau zu stehlen, aber das ist noch lange hin. Derweil ist bei Nokia die Luft raus. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr alte Nokiafans sind unwiederbringlich weg. Nokias Ausdauer und Kapital irgendwann auch.