Die Idee für diesen Netzausfall stammt von der CDU, denn sie hat mich mit dem folgenden Plakat zuerst visuell belästigt. „Politik aus den Augen unserer Kinder“ lautet der Slogan. Und was macht der Mann? Er schaut nicht das Kind an, sondern weg – zum Mann mit der Kamera. Ein klassisches Eigentor und ein Beitrag, um die FDP über fünf Prozent zu hieven. Aber zum Nachdenken soll das Plakat wohl auch nicht anregen. Stammwähler mobilisieren, ein Gesicht zeigen. Dann auch noch „Norbert Röttgen Wählen“ mit den orange gesetzten Anfangsbuchstaben NRW, direkt untereinander. Nun ja, Wahlkampf halt.

Fein kommuniziert finde ich dagegen die USA-Mütze, die der Junge trägt. Wenn Norbert Röttgen denn ein Atlantiker ist (ich weiß es gar nicht). Und wenn es Absicht war.

„Gut für NRW“. Der Kampagnenslogan der SPD riecht wie frisch aus der Waschmaschine. Ich kann gar nicht sagen, ob der so bei früheren Wahlen schon verwendet wurde oder bloß in ähnlicher Form. Duftet nicht nur frisch, sondern ist auch rein. Bei der SPD machen sich die Kinder auf dem Spielplatz sowieso nicht schmutzig. Und es sind alle blond – bis auf das Kind mit Migrationshintergrund. Natürlich.

Ich habe dieses Plakat aber gewählt, weil der Slogan „Wir lassen kein Kind zurück“ typisch für die Unsensibilität gegenüber Sprache und Geschichte ist. Mangelnde Bildung könnte es selbstverständlich auch sein. „Wir lassen kein Kind zurück“ hört sich gut an, ist es auch. Es nimmt aber sprachlich Bezug auf das militärische „Kein Mann bleibt zurück“. Wenn man sich im Kampf zurückzieht, soll kein gefallener Soldat zurückgelassen werden. (Google ist die neue Arbeiterbildung.) Es gäbe aber noch weit mehr an der SPD kritisieren. Das Spielplatzplakat ist bloß ein Nebenkriegsschauplatz – wie man unter Genossen zu sagen pflegt.

Zu den Plakaten der Grünen fällt mir dagegen nicht viel ein. Vor einiger Zeit war das die Partei mit den Inhalten. „Jede Kraft braucht einen Antrieb.“ ist zwar ein nettes Wortspiel, aber auch nur auf dem Niveau einer Werbeagentur. Darunter steht: „Grün macht den Unterschied.“ Nee, eben nicht. Das Plakat hätte man auch schon in einem früheren Wahlkampf gesehen haben können. Bei den Grünen, aber – von der Machart her – auch bei der SPD, zumindest bei den Jusos.

Früher wusste man zumindest, dass die Grünen in der Regierung noch etwas umzusetzen hatten. Seitdem sie jetzt schon einige Zeit mitregieren, mal hier, mal dort, reicht ein Wortspiel einfach nicht mehr, weil man nicht mehr weiß, was für ein Antrieb das ist und in welche Richtung er antreibt. Weiter unten gibt es übrigens auch ein Plakat der Piraten. Manchmal reicht es ja schon, wenn man meint zu wissen, was die wollen, auch wenn die sagen, dass sie noch gar nicht wissen, was sie wollen.

Aber erst einmal zur FDP. Fünf Plakate finden sich auf der Website, die schnell angeklickt sind, um sie jeweils in einem Tab zu öffnen. Und plötzlich gerät mein Rechner ins Stocken. Zwischen 2,8 und 4,7 MB ist ein Bild groß, 7.044 x 9.958 Bildpunkte, skaliert auf 8 oder 11 Prozent. Erst war plötzlich die Musik weg, dann war der Bildschirm schwarz. Die FDP hat meinen Rechner zum Absturz gebracht. Das hat noch kein Virus geschafft.

Also Rechner neu gestartet, Bilder abgespeichert und im Bildbetrachter geöffnet. Wieso macht man das als Partei? Ohne Vorschau in iPad- und Smartphone-tauglicher Zwischengröße. Wenn ich jetzt Architekt wäre und einen DIN-A0-Farblaserdrucker hier herumstehen hätte, könnte ich mir Christian Lindner in gefühlter Bravo-Starschnitt-Größe printen und an die Wand pinnen. Bin ich aber nicht. Habe ich auch nicht.

Und dann der Unsinn mit dem QR-Code. Ich weiß nicht, ob es der typische Jungliberale ist, der vom Gehweg aus über Berge von Hundescheiße auf dem Grünstreifen steigt, um sein Handy vor ein Wahlplakat der FDP zu halten und dieses kleine kryptische Quadrat zu fotografieren, das für eine Website steht, die man viel besser vom Bürgersteig aus hätte aufrufen können: fdp-nrw.de. Die Weiterleitung auf die Microsite wäre nicht das Problem. Es würde auch schneller gehen. Aber jetzt noch fix die Budapester wieder blank geputzt und das Papiertaschentuch ins Gebüsch geworfen.

Die Slogans der FDP? Keinen behalten. Ist auch egal, ich weiß ja, wofür die stehen. Und das meine ich nicht abwertend.

Die Grünen haben übrigens auch den QR-Code auf ihrem Plakat. Muss wohl die gleiche Zielgruppe sein. Die Piraten kommen jedoch ohne aus – vermute ich mal, denn auf der Website der NRW-Piraten finden sich noch keine Plakate, ich jedenfalls nicht. Da gibt es Links wie Vorstand, Satzung, Bankverbindung, Engagiere dich, Pressespiegel und einen Banner, der zum Spenden aufruft. Das klingt schon sehr nach etablierter Partei – zumindest was die Organisationsstrukturen angeht. Ich mache jetzt also die Not zur Tugend wie die Piraten selbst. In NRW sollen Großplakate aus dem Wahlkampf im Saarland recycelt werden (haben die Grünen eigentlich das Urheberrecht auf diesen Begriff?), also mache ich das auch, ziehe zum Vergleich ein Plakat heran, das das sehr geschätzte Design Tagebuch vor der Saarlandwahl besprochen hat.

„Einmal mit Profis“ – und der Schriftzug ist dem Trojanerpferd eine Augenbinde. Das mag handwerklich nicht gut umgesetzt sein, aber da hat sich jemand etwas bei gedacht. Inhaltlich! Und damit unterscheiden sich die Plakate der Piraten auch schon grundlegend von denen der anderen etablierten Parteien. So wie die Grünen früher. „Legal, illegal, scheißegal“ hieß es damals. Meine Eltern hat das sicherlich nicht zur Wahl animiert, ich habe es heute noch vor Augen.

Aber jetzt bin ich von den Piraten ganz abgekommen. Das wird auch noch zu deren Problem werden. Im Moment sitzt die Pointe, das kann aber auch ganz schnell wieder vorbei sein. Bevor die Grünen erstmals in die Parlamente kamen, hatten sie schon ein Jahrzehnt außerparlamentarisch gearbeitet. Zwei miterlebte Insolvenzen im Zuge von Dotcom-Blase und Finanz-/Werbekrise würde ich dem nicht unbedingt gleichsetzen.

Nachtrag vom 20. April 2012

Nun findet sich auf auf dem Design Tagebuch eine Schau der NRW-Wahlplakate. Darunter finden sich auch die der NRW-Piraten.